Die Turn und s' stoanerne Mandl an der Munde

Wohl die meisten kennen die Erzbergklamm mit dem großen Weiher und dem Wassersammelbecken der ehemaligen Baumwollspinnerei Jenny & Schindler (erbaut 1887). Zur Linken und zur Rechten türmen sich schroffe Felsen, bewachsen mit Fichten, Föhren und Latschen. Auf unwegsamen Pfaden kommen wir nur mühsam weiter über Lawinenreste, Steingeröll und Wassertümpel, bis zum ersten "Turn", einem spitzen, steilen Felsen; zerklüftete Felswände umgeben uns, und zeitig im Frühjahr wären wir vor den Schneelawinen gar nicht sicher. Wieder klettern wir vorwärts, am Eingang in die Schwarzwald-Klamm, einem schaurig anmutenden, unwegsamen Felsental vorbei. An gelblichen, fast senkrechten Wänden suchen wir festen Halt und Stand. Stoaröaßlen sind's, die der Gegend ein lebhaftes Gepräge geben, während dunkelgrüner Wald fast unheimlich zur Linken uns begleitet. Etwas oberhalb des Einganges in die Schwarzwald-Klamm steht der zweite "Turn". Wenn wir erstklassige Kletterer wären, würden wir die genannte Klamm umgehen und emporkraxeln bis zum "stoanernen Mandl", einer, einem Männlein ähnelnden Steinformation auf dem Grat zwischen Mund'nkopf und Spitz. Mit den zwei "Turn" und dem "stoanernen Mandl" hat es nun die folgende Bewandtnis:

Der Graf des Schlosses Eben bei Moritzen war ein gerechter und ehrlicher Mann, der jedem verschaffte und ließ, was ihm gehörte, aber auch jeden ins Burgverlies warf, der sich unrechtmäßig Gut aneignete oder an einem Mitmenschen eine schlechte Tat vollführte. Er lebte zufrieden und glücklich mit seiner Familie und seinem Gesinde im Schloss und war weit und breit angesehen. Er glaubte, die ehrlichsten und bravsten Knappen zu haben und hatte schon so manches Mal seine Leute verteidigt, wenn die Grafen von Hörtenberg, Klamm und Petersberg Schlimmes munkelten. "Weißt", sprach der Herr von Klamm nach der Jause, "Augsburger Kaufleute behaupten, von der letzten Fuhr seien ihnen hier in der Gegend zwei Pack wertvoller Brüsseler Spitzen abhanden gekommen, und auch schon früher seien sie ihrer Wein- und Tabaksfässer und auch ihrer Seide beraubt worden. Irgendwo müssen die Lumpen stecken, die diese Diebereien durchführen. Man soll nicht rasten, bis man diese Gauner gefasst hat. Wären es meine Leut', ich würde sie vierteilen und dann verbrennen."
"Ich werde meine Knappen beauftragen, ganz besonderes Augenmerk auf die Sicherheit der Reisenden zu richten", versprach der Ebener Graf. "Ich selbst werde womöglich bei jeder Gruppe von Reisenden Nachschau halten. Es würde für meinen Schlossbereich einen schlechten Ruf geben, wenn es hieße, in der Nähe von Eben sei jemand ausgeraubt worden."
Der Herr von Klamm rüstete zum Heimritt. Es begann schon, dunkel zu werden, und der Graf von Eben wollte ihn nicht allein durch den unheimlichen Wald, der die beiden Schlösser voneinander trennte, reiten lassen. "Du wirst dich von drei meiner besten Knappen begleiten lassen. Die bleiben heute bei dir über Nacht und kommen morgen früh wieder zurück", erklärte der Ebener.

"Ist mir auch recht, lieber reite ich zu viert als allein. Also, Gott behüt' dich und dein ganzes Schloss mit Kind und Kegel, mit Wald und Flur und komm bestimmt drei Tag nach dem Vollmond zum versprochenen Gegenbesuch! Und jetzt leb' wohl!"

Das Hufgetrampel war noch weithin vernehmbar, sie mochten schon über die Bötlerkapelle hinaus gewesen sein, als der Graf von seinem Aussichtsturm herabstieg und sich zur Ruhe begeben wollte. In der Knappenkammer brannte noch ein Kerzenlicht, schwach leuchtete es durchs Schlüsselloch und ganz leise wurde drinnen eine Unterhaltung geführt. "Du, Wolfl, hast die ganze verdammte Dummheit gemacht und bist zu früh aus dem Wald gesprengt und noch dazu das Schwert in der Hand. So etwas macht die Reisenden stutzig, es ist nur gut, dass du nicht auch noch dem Nassereither Boten in die Hände geritten bist." "Was, du Hund du ..." Der Graf hatte die, in der Hitze laut gesprochenen Worte gehört und legte sein Ohr ans Schlüsselloch, um besser verstehen zu können.

"Was, du Hund, du miserabler, wer håt denn gesütern die Geldkatz' hoambråcht, du oder i? Wer hat denn das letzte Mål die zwoa Bållen wertvoller Brüsseler Spitze bråcht, eis oder i? Wer hat denn beim letzten Neumond den Reutlinger Kaufmann übers Mörderloch hinunterg'worfn und den Huat voll Gold- und Silbermünzen hoambråcht, eis oder i? Sagt mir nomal oaner von euch, dass i eppas nit recht g'macht hätt', dem sei Seel' schick i g'schwind zum Tuifl."
"Ja, ja", meinten Harro und Beno, "du håsch dei Sach' guat g'måcht und hascht wohl schu einige übers Mörderloch oui gsoalt. Aber zum Streiten habn mir jetzt nit Zeit, jetzt müssn wir beratschlagn, wo wir all deis Zeug hintuan sollen? Im Wald draußen können wir's bei allem Wetter nit låssen und im Schloss herinnen isü 's Verstecken noch gefährlicher, wenn uns da einer draufkommt, dann ..." und dabei deutete Harro mit dem Zeigefinger um den Hals.
"Darüber reden wir morgen, jetzt geh ich noch in den Keller um einen guten Rötel, nachher ins Nest."
Jetzt war für den Schlossherrn Zeit zu verschwinden. Also so stand es mit der Sicherheit in seiner Umgebung, er selbst beherbergte die Gauner. Schon wollte er Lärm machen und die drei sofort ins Burgverlies werfen lassen, noch rechtzeitig aber kam er zu der Erkenntnis, dass er heute ja fast allein im Schlosse war. Drei Mann waren nach Schloss Klamm, drei waren Räuber und Mörder und wer weiß, ob nicht die noch verbliebenen zwei Mannen Kumpane der übrigen waren. Morgen früh wollte er zur Ausrede auf die Jagd gehen und nach Hörtenberg reiten, um sich von dort Mannschaft zur Gefangennahme der Treulosen zu holen.

Bald nachdem der Schlossherr den Turmgang, an dem die Kammern der Knechte lagen, verlassen hatte, huschte eine Gestalt vom gegenüberliegenden Raum über das Steinpflaster zur Kammer der Knappen. "Wolfl, Harro, Beno, ihr habt euch selbst verraten, der Graf hat euren ganzen Auftritt gehört und wird sicher Leute holen, euch ins Verlies werfen zu lassen. Macht euch schnell aus dem Schloss!"

"Alle Tuifl, warum verscheuchst du den Grafen nit? Kameraden, was nun tun? Rasch handeln wird das Beste sein; auf, packt zusammen, alle Wertsachen in drei Bündel und die seilen wir beim Fenster hinunter. Wir selbst können auch nicht zum Schlosstor hinaus. Wir suchen geschwind das Weite, wir gehen über die Munde. Der Steig über die Alplscharte ist zu gefährlich und der über Buchen noch mehr, auch über die Niedere Munde ist's nicht ratsam. Also rasch, nimmt jeder seinen Strohsack und packt ein!"

Nur beim Haus in der Aue (Dollingerhaus) hörte man den Hund kauzen, sonst war alles mäuschenstill und dunkel. In der Pfarrkirche zu St. Georgen schimmerte das ewige Lichtlein durch die Fenster. Die drei Gesellen machten einen weiten Umweg um die Kirche, es hätte leicht sein können, dass das "Hinterberger Moidele" unterwegs war. Nichts war zu hören, nur der schwere, eilende Schritt der Flüchtlinge, einige halblaute Flüche ob der Last des Diebsgutes und da und dort ein Käuzchen. Hinter dem heutigen Weiher, dort wo es steil aufsteigt, wurde zum ersten Male gerastet und jeder der drei war froh, endlich einmal verschnaufen zu können.
"Harro, du hast aber einen schweren Pack, du hast wohl viel für dich ausgesucht, he?"
"Ausgesucht, ausgesucht, was heißt das, was meinst du damit?"
"Ich mein halt, dass du das Beste und Wertvollste in deinen Pack getan hast!"
"Jeder kriegt von unserem Handwerk soviel, als er selbst durch seinen Mut und seine Geschicklichkeit zusammengebracht hat."
"Halt, halt!" schrie der Wolfl, "so wird nicht geteilt, jetzt alles heraus und geteilt wird, dass jeder ein Drittel von allem bekommt, was wir erworben haben. Das ist gerecht!"
"Wo sind die Silbertaler und Goldfüchs?" schrie Beno, "die hat einer von euch zwei Gaunern vermunkelt. Her damit oder ich schlag euch beide über den Schrofen hinaus!"
"Was, du Schuft", schrie Harro, "das Geld, das i mit schwerer Arbeit und unter Lebensgefahr erworben hab, soll ich mit euch teilen. Ihr könnt mir doch gestohlen bleiben." Und nun gab's Streit, eine wüste Rauferei, schreckliche Verwünschungen und Flüche, dass einem die Haare zu Berg stehen mochten.
"Du Lump, du", schrie Beno, "der Tuifl hol dich und kalt und hart sollst du werden, wie die Felsen der Munde!"

Über der Munde hatten sich indessen schwere, schwarze Gewitterwolken zusammengebraut und bald war ein Gewitter losgegangen, das selbst einem Räuber in Angst und Schrecken versetzt haben musste. Blitz und Donner waren ein Schlag gewesen und Steinlawinen waren über die nassen Wände in die Schlucht gedonnert. Ein überhängender Felsen diente den dreien als Schutz. Harro hatte nach der schrecklichen Verwünschung die schützende Höhle verlassen. Als das Wetter vorüber war, verließen auch die anderen zwei ihr Versteck, Harro war aber nicht mehr zur Stelle, dafür stand ein hoher Felsen vor ihnen, der drohend auf die beiden Gauner niederschaute. Harro war tatsächlich zum Felsen erstarrt. Gold und Silber, auch Blei und Zink liegen heute noch zu seinen Füßen im Inneren des Berges begraben (nach Blei soll tatsächlich vor langer Zeit im beschriebenen Gebiet geschürft worden sein). Es ist dies der erste "Turn" hinter dem Weiher.
Beno und Wolfl packte furchtbarer Schrecken. "Siehst du, Beno, so geht es einem, wenn man unehrlich ist!" Entgegen der Räuberart fürchteten sie sich, noch länger hier zu bleiben und so nahm der eine einen Sack, und der andere zwei auf den Rücken. Schwer war die Last für den Zweiten und oftmals mussten sie eine Pause machen. Knapp oberhalb des Einganges in die Schwarzwald-Klamm wussten sie wieder ein Versteck und hier wurde beschlossen, länger zu rasten und die Diebsbeute in zwei Teile zu teilen.

"I nimm das übrige Geld, die Schmucksachen und die Seide und du den Tabak und die Spitzen", schlug, zitternd vor Schreck und Müdigkeit, Beno vor.
"Was, du das Geld und die Wertsachen", schrie Wolfl, rot vor Zorn, "das wertvollste und am leichtesten zu schleppende Zeug möchtest du, und ich soll mich am schweren Tabak und den minder wertvollen Spitzen zu Tode schleppen; so bist auch du ein solcher Gauner wie Harro. Schau nur, dass es dir nicht gleich geht wie ihm."
"Was du, der du beim Rauben und Stehlen nichts gewesen bist als ein elender Aufpasser, der keinen Finger gerührt hat, du möchtest auch noch besseres Zeug haben. Nichts da, du musst nehmen, was ich dir geb und bist du nicht zufrieden, so such dir einen Helfer, einen Richter. Alle Tuifl ruf ich zu Hilfe und die sollen dir beweisen, dass ich recht habe und wenn's dir nicht paßt, dann sag ich dir, dass du ..." Ein furchtbarer Donnerschlag aus dem Flaurlinger Tal machte den schrecklichen Namen, den Wolfl dem Beno entgegengeschleudert hatte, unverständlich. Ein zweiter Blitz machte die beiden Räuber erzittern ... "und hart sollst du werden, wie der Felsen da", schrie Wolfl ... und ein dritter Donnerschlag machte auch Beno recken und strecken, machte ihn kalt und starr, machte ihn zum zweiten "Turn" an der Munde.
Hagelkörner, so groß wie Eier, fielen an die Felsenwände der Munde und den zweiten "Turn", gleichsam als wollten sie seine Wetterbeständigkeit erproben. Wolfl kroch mit den drei Säcken unter eine überhängende Felswand und wollte den kommenden Tag erwarten, denn es war stockfinster.

Indessen saß der Graf von Eben noch immer wach in seinem Bett, fürchtend, jetzt und dann werde ein fürchterlicher Blitz sein Schloss zur Strafe treffen. Es war noch nicht Tag, als der Graf im Pferdestall eigenhändig sein Leibpferd sattelte, um nach Hörtenberg zu reiten. Der Uhu hatte im Schlosswald von Hörtenberg noch nicht den letzten Schrei getan, als elf Mann zu Pferd den Schlossberg abwärts eilten, auf der Ebene den Pferden die Sporen in die Flanken stießen und nach Schloss Eben stürmten. "Sechs Knappen umstellen das Schloss und wir fünf dringen ins Innere. Schonung gibt es keine, wenn sich etwa einer zur Wehr setzen oder entfliehen sollte. Und die drei Mannen, die jeden Augenblick von Schloss Klamm zurückkommen werden, werden gefesselt, jedem einen Knebel ins Maul und hinab ins Burgverlies. Ein Mann bleibt zur Wache dort und jedes Wort ist strengstens verboten. Ich werde noch dazu den Torwärter zur Beaufsichtigung abkommandieren", so lautete des Grafen strengster Befehl.

Nur die Gräfin wusste, was geschehen war und im Schloss herrschte schreckliche Aufregung. Niemand durfte es betreten oder verlassen ohne des Grafen ausdrücklichen Befehl. Als der herabhängende Strick entdeckt wurde, wusste der Graf, dass die drei Kumpane entflohen waren. Das musste schon in der Nacht geschehen sein, denn die niedergetrampelten Grashalme waren zum Teil schon wieder aufgestanden. Jagd- und Bluthunde wurden mitgenommen und die Flüchtigen verfolgt. Die Bluthunde führten die Verfolger geradewegs in die Erzbergklamm und an der Munde bergauf.

Wolfl hatte aus der Höhle der Schwarzwald-Klamm Ausschau gehalten. Haufenweise lagen noch die Hagelkörner auf den Felsenabsätzen und die Bäche stürzten wildschäumend, Geröll mit sich reißend, zu Tal. Er sah bei St. Georgen eine kleine Reitergruppe, sogar Hunde ... "Kein Jagdzug ist's, meine Verfolger sind's", dachte er verzweifelt bei sich.
Geld, Juwelen und Seide nahm er mit, das übrige ließ er liegen, und so rasch seine Füße ihn tragen konnten, so rasch es die Hagelkörner und die Bäche zuließen, entfloh Wolfl gegen den Mund'nkopf.

Kaum hatte er die Höhe erreicht, fielen dichte, tiefschwarze Wolken ein, ein Gewitter wie gestern brach los. Seine Verfolger waren noch drei Pfeilschuss tiefer. Nicht genug belehrt durch die Strafen, die seine zwei Kameraden ereilt hatten, erging sich auch Wolfl in Verwünschungen und Flüchen gegen seinen Schlossherrn und seine Helfer und gegen alles Heilige.
"Die zwei da drunten, Harro und Beno, haben es gut. Ich wollte, ich könnte es auch so haben. Nichts sollt ihr von meinen Schätzen erhalten", schrie Wolfl und warf die Edelsteine gegen das Kochental, wo wir sie heute noch in Form von roten Granaten finden. Die Seide schleuderte er gegen den Kupf. Sie ist an taureichen Morgen als feinstes Gespinst zwischen den Bäumen zu entdecken. Wieder zuckte ein schrecklicher Blitz an den Felsen vorbei und auch Wolfl erstarrte, so hart wie die Munde, zum "stoanernen Mandl".


Quelle: Mei'r Huamat, Marktgemeinde Telfs, 1997

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